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Gastvortrag – Marc Ries: Die beinlose Gesellschaft. Oder: Personne n´avance! Anmerkungen zum Imaginären neuer Mobilitätsräume

11. Februar 12:00 – 13:30 Uhr

Seit einiger Zeit ist in Städten eine neue Art von Automobilität erfahrbar, von Selbstbewegung als Fremdbewegung, die sog. E-Scooter, ein mit elektronischem Antrieb versehener Roller, eine trottinette électronique. Der, die Fahrende stehen sehr gerade auf dem „Brett“ und gleiten mit Blick in die Ferne voran, der Motor selber ist nicht sichtbar, „es“ bewegt sich, wie von unsichtbarer Hand. Die Antriebsunsichtbarkeit verleiht der fahrenden Person oftmals eine gewisse Würde und Eleganz, an der eine affektive Selbst-Überhöhung auffällt. Ein paradoxes Dispositiv: Einerseits Reduktion, ja Eliminierung der körperlichen Funktionen, andererseits maximale Inszenierung des still gestellten Körpers als Bild, Zeichen, imaginäre Figur. Die Bahn dieser Mobiles ist jene der Fahrradwege, oftmals auch des Gehsteiges und der Straße, d.h. die alten Bahnen sind nunmehr zur Teilung gezwungen, diese bewirkt Konfrontation und Kollision, reale und symbolische – die Stilisierung zur Bildgewalt ist die vermutlich größere Provokation in „gestalthungriger Zeit“ (Blumenberg). In der Produktion ist der E-Scooter Ausgeburt eines unüberschaubaren Netzwerkes („selbstbewegt“ ist da selbstverständlich nichts): Ein industriell-kapitalistischer Komplex, der vielfach Form- und Affordanzanleihen aus Klasse- und Genderstrukturen, aus Logiken des Begehrens und der Gebrauchsästhetik entnimmt.

Es wird schnell offensichtlich, wie sich der „Sinn“ einer solchen Maschine und ihres Gebrauchs von der puren Funktion der Fortbewegung hin zu einer symbolisch-imaginären Raumaneignung und einer psycho-ästhetischen Figuration verschiebt, die zwischen Entlastung, Inszenierung, Hedonismus und Indifferenz eine wesentlich größere Ausdehnung aufweist, denn bloß eine geographische.

Veranstaltungsort:

TU Berlin | BH-N 230, Ernst-Reuter-Platz 1
Berlin, 10587 Deutschland

Kontakt:

SFB 1265

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Gastvortrag – Marc Ries: Die beinlose Gesellschaft. Oder: Personne n´avance! Anmerkungen zum Imaginären neuer Mobilitätsräume

SFB 1265
11. Februar 12:00 – 13:30 Uhr

Programm

Der Vortrag wird in einem ersten Teil eine kleine Phänomenologie – eine „descriptive assemblage“ – des E-Scooter Einbruchs in die Gesellschaft entlang der Trias Körper – Raum – Imaginäres skizzieren und Vorzeichen einer Re-Figuration von physischem und sozial-imaginärem Raum entlang der Mobiles entwerfen.

Ein zweiter Teil versucht das Bild des bewegten Unbewegers, seine imaginäre Hybris, zu assoziieren mit jenen Bildern, die aus dem Inneren mathematischer Modelle als Doubles unserer selbst erscheinen, KI generierte „Personen“, die zwar nicht existieren (https://thispersondoesnotexist.com/), jedoch in unserem Leben immer mehr Platz einnehmen. In einem imaginären Transfer (Deep Fake) wirken sie in unseren Alltag hinein, ja handeln an unserer Stelle, sind – nun mehr aristotelisch gelesen – unbewegte Beweger: Als algorithmische Figurationen in Black Boxes, „Zones of Nonbeing“ (Santos), haben sie ansteigendes Wirkpotential außerhalb dieser, als Stimme oder als Körper verschalten sie ihren (Un-)Ort mit unseren, machen klar, dass wir nicht mehr alleine sind. Das Maupassant´sche Horla re-generiert bestens in KI-Zeiten.

Die beinlose Bewegung, wie sie für alle Automobiles zu beobachten ist, gilt es zugleich als Allegorie zu verstehen im Zusammenhang mit körperloser, weil artifizieller Intelligenz und Imagination. Die Auflösung des Körpers als Bild hier korrespondiert in „unheimlicher“ Weise mit der Präsenz der Bild-Körper dort.