Teilprojekte | Projektbereich A | Raumwissen
A03
Waren und Wissen II: Kommunikatives Handeln von Konsumenten und Intermediären
Das Teilprojekt „Waren und Wissen“ untersuchte in der ersten Förderphase am Beispiel des Kaufens und Verkaufens von frischem Obst und Gemüse das kommunikative Handeln von Konsument*innen unterschiedlicher sozialer Milieus in vier Berliner Wohnquartieren und Händler*innen (sogenannten „Intermediären“) als Akteure der Warenkette. Das Teilprojekt leistete grundlegende empirische und theoretische Arbeit (1) in Bezug auf die Bestimmung der Raumkonflikte zwischen Territorialraum, Bahnenraum und Ortsräumen, die durch die Verwebung von Konsumkontext, Kontext der Marktentnahme und Produktionskontext entstehen. (2) Wissen von Konsument*innen und anderen Akteure der Warenkette schließt Raumwissen mit ein und spielt eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung der Zirkulation entlang der Warenkette. (3) Raumwissen ist notwendig polykontextural, weil (a) Produktions-, Verkaufs- und Konsumkontext jeweils unterschiedliche Raumbezüge aufweisen, aber entlang der Warenkette miteinander verknüpft werden, (b) der Raumkonflikt zwischen Territorial- und Bahnenraum an Orten der Marktentnahme inhärent in Märkten angelegt ist und (c) Marktakteure die Polykontexturalität der Warenzirkulation mit zunehmender Mediatisierung stärker reflektieren. (4) Raumwissen schließt Nichtwissen mit ein, welches eine zentrale Strategie zur alltagsweltlichen Auflösung von Raumkonflikten ist. (5) Angesichts des Ausmaßes an Nichtwissen kann die Zirkulation entlang der Warenkette nur aufrechterhalten werden, weil Objektivationen (Ware, Laden, Quartiere, Verkehrswege) symbolisch aufgeladen werden, als Wissensträger fungieren und die Warenzirkulation stabilisieren. Durch die Analyse des Wechselspiels von Raumwissen und Raumanordnung hat das Projekt einen wesentlichen Beitrag zur Spezifizierung des Konzepts der Polykontexturalisierung und seiner wechselseitigen Dynamik mit der Translokalisierung und Mediatisierung erbracht.
Das Projekt hat von Anfang eine Generalisierungsstrategie für eine bestimmte Raumanordnung (Berlin als Beispiel für den Globalen Norden) verfolgt. Aufbauend auf den Ergebnissen und anderen Vorarbeiten der Antragsteller*innen soll in der zweiten Förderphase ein Vergleich mit zwei divergierenden Raumanordnungen – Nairobi (Kenia) und Singapur – erfolgen, die sowohl zu Deutschland als auch untereinander maximale Kontrastfälle bilden. Das Projekt folgt damit dem Ansatz des Projektbereichs A, handlungsrelevantes Wissen in kontrastierenden Räumen zu betrachten. Stärker noch als in der ersten Förderphase nimmt das Projekt systematisch in den Blick, warum und wie Wissen sozial ungleich auf die Akteure der Warenkette sowie auf materielle Infrastrukturen verteilt ist und als Machtressource dienen kann. In Vorbereitung der in der zweiten Förderphase anvisierten stärkeren Integration der quantitativen Methoden wurde ein innovatives raumsensibles komplexes Mixed-Methods-Design entwickelt, das in der zweiten Förderphase verfeinert werden soll. Dieses Forschungsdesign kombiniert geographische und soziologische quantitative Ansätze (Gebäudenutzungskartierung, Angebotskartierung, Sortimentserhebung) und qualitative Ansätze (ethnografische Ortsbegehung, Foto-Dokumentation, Mapping, Expert*innen-interviews, narrative Interviews mit walk-alongs).
© Patrik Budenz
Phase 1 (2018-2021)
Waren und Wissen: Raumwissen von Konsumenten und Produzenten
Das Teilprojekt fragt am Beispiel von Frischgemüse, (1) über welches Raumwissen Konsumenten und Akteure der Produktionskette (kurz: Produzenten) verfügen; (2) wie dies im Kaufen und Verkaufen handlungsrelevant wird, (3) wie Konsumenten und Produzenten individuell und strukturell damit unterschiedliche Raumanordnungen zugleich zur Wirkung bringen (d. h. polykontextural handeln), (4) welche Rolle die Ware als Objektivation des kommunikativen Handelns hierbei spielt und (5) wie sich dieses Raumwissen aktuell infolge der Re-Figuration der Räume verändert.
Wir gehen davon aus, dass dem Wissen von Konsumenten und Produzenten, welches das Raumwissen miteinschließen kann, eine Schlüsselrolle in der Koordination der Warenketten zukommt, wodurch Waren als Objektivationen kommunikativen Handelns symbolisch aufgeladen werden und damit als Wissensträger fungieren. Dieses Wissen ist notwendig polykontextural, weil entlang der Warenkette Produktions-, Verkaufs- und Konsumkontexte miteinander verknüpft sind und diese Kontexte jeweils unterschiedliche Raumbezüge aufweisen. Hinzu kommt, dass die Verbraucher mit zunehmender Mediatisierung die Polykontexturalität der Warenzirkulation stärker reflektieren. Dies schließt auch Nicht-Wissen mit ein: Raumwissen kann (in Bezug auf die Warenzirkulation) explizit, implizit oder nicht vorhanden und damit auch nicht handlungsrelevant sein.
Da Wissen stets milieuspezifisch variiert, nimmt das Projekt systematisch in den Blick, wie milieuspezifisch agiert wird. Konkret analysieren wir am Beispiel von vier Berliner Quartieren, die jeweils von unterschiedlichen sozialen Milieus dominiert werden, wer welches Raumwissen hat und inwiefern handlungsrelevant macht, wie sich dieses wandelt und wie es zur Aufrechterhaltung oder Veränderung der Warenzirkulation und damit der Raumanordnungen verwendet wird. Die Analyse erfolgt mit Hilfe eines Mix aus quantitativen und qualitativen geographischen und soziologischen Methoden.
Der Frischgemüsemarkt wurde gewählt, (1) weil hier in der Produktionskette viele Akteure an unterschiedlichen Standorten beteiligt sind und sich in jüngster Vergangenheit parallel lokale, nationale und globale Verflechtungen herausbilden. (2) Durch die große symbolische und soziale Bedeutung, die Essen in allen Kulturen zur Herstellung der lokalen Identität zukommt, ist zudem davon auszugehen, dass beim Verbraucher das ernährungsbezogene Warenwissen lokal sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. (3) Durch die spezifischen materiellen Eigenheiten des Frischgemüses rückt zudem die Spannung zwischen materiellen und symbolischen Dimensionen von Räumen in den analytischen Fokus.