Vom Container „Schulhaus“ zur transformativen Bildungsregion? Über die Notwendigkeit eines raumpädagogischen Paradigmenwechsels
Durch die coronabedingte Erschütterung der Beschränkungen von Lernort und -zeit wurde verstärkt ersichtlich, dass der Bildungsraum Schule in vielerlei Hinsicht den Anforderungen einer Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht mehr gerecht wird. Vor dem Hintergrund einer Re-Figuration des Bildungsraums stehen räumliche Neuordnungen in einem konfliktreichen Spannungsverhältnis zu schulräumlichen Deutungs- und Nutzungsgewohnheiten praktizierender Lehrkräfte. In ihrem Beitrag setzt Kathrin Eveline Plank sich mit dem Potential eines bildungsräumlichen Paradigmenwechsels für eine „Neuprogrammierung schulischer Grammatik“ auseinander.
Vor dem Hintergrund neu auferlegter Ordnungen waren während des coronabedingten Lockdowns viele Räume (z.B. Arbeitsplätze, Gast- und Kulturstätten) vorübergehend nicht mehr zugänglich. Der Privatwohnung wurden in diesem Zusammenhang weitere Funktionen aufgebürdet: Die eigenen vier Wände entwickelten sich für einen großen Teil der Gesellschaft nicht nur zum vorübergehenden Arbeitsplatz, sondern wurden mittels Online-Übertragungen und virtueller Meeting-Räume zeitweise auch zum Museum, Fitnessstudio oder Eckkneipe. Für Schüler*innen verwandelte sich das eigene Zimmer oder der Küchentisch plötzlich in Klassenzimmer und Schulhaus. Mit diesem „Umzug“ gingen einige Friktionen einher, die generelle Desiderate des Konzeptes Schule deutlich machten und als Anlass genutzt werden können, um die grundlegenden Strukturmerkmale der Einrichtung an gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen. Dabei geht es mir im vorliegenden Beitrag weniger darum, Konflikte um und im Raum, die während des Fern- und Wechselunterrichts ausgetragen wurden, auszuführen. Vielmehr möchte ich deutlich machen, dass ein unter anderem aufgrund räumlicher Neuordnungen erforderliches „Update“ der Institution einen bildungsräumlichen Paradigmenwechsel erfordert und dieser in einem konfliktreichen Spannungsverhältnis zu tradierten raumbezogenen Deutungs- und Nutzungsgewohnheiten praktizierender Lehrkräfte steht. Raum wird vor dem Hintergrund einer Re-Figuration des Bildungsraums[1] dabei als Medium (zunehmend konfliktreicher) gesellschaftlicher Transformationen beschrieben.
Veränderte Grenzziehungen zwischen Öffentlichkeit und Privatraum und das Verschwinden spezifischer Räume wirkten sich entlang gesellschaftlicher (Macht)Verhältnisse unterschiedlich aus. Weder bedeutet beispielsweise der Rückzug für alle ein „Stay Safe“, noch stehen allen Privaträume zur Verfügung – von den unterschiedlich verteilten Ressourcen hinsichtlich Lage, Platz und Ausstattung ganz abgesehen. Durch die Verschiebung von Handlungen vom (teil)öffentlichen in den privaten Raum schuf das „Brennglas Corona“ zeitweise stärkere Sichtbarkeit für gesellschaftliche Konfliktlinien, die größtenteils bereits „Prä-Corona“ vorhanden waren. Das gilt insbesondere auch für den Bildungsraum Schule. So kam es nicht nur in der unmittelbaren Situation des Fern- oder Wechselunterrichts zu Konflikten im und um Raum, etwa aufgrund des Nichtbeachtens der Tatsache, dass das Bewegen in diesem physischen Raum verortet bleibt. Es wurde, um dieses eine Beispiel kurz auszuführen, insgesamt nur unzureichend beachtet, dass die Privaträume der Schüler*innen in der Regel nicht den Rahmenbedingungen eines eigens für Bildungszwecke eingerichteten Raums entsprechen. Der Erziehungswissenschaftler Werner Sesink (2014) benennt im Rahmen seiner Überlegungen zum „poietischen Raum“ die Befürchtung, dass ein Mensch den Schutz eines Bildungsraums verliert, wenn der physische Aufenthaltsraum, an dem dieser sicher während des Verbleibs im virtuellen Raum befindet, eben nicht als ein solcher konzipiert wird.
Auch vorgelagerte Konflikte wurden sichtbarer: So wurden beispielsweise die mangelnde digitale Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte (vgl. INSM-Bildungsmonitor 2020) und die unter anderem über einen „Digital Gap“ (Zillien 2009) begründete Verstärkung herkunftsbezogener Bildungsungleichheit erneut evident. Gleichzeitig bröckelten als in Stein gemeißelt betrachtete Beschränkungen von Lernort und -zeit. Dies ermöglichte ein Hinterfragen weiterführender Selbstverständlichkeiten. Es wurde in umfassendem Ausmaß ersichtlich, dass die gegenwärtige „Grammatik der Schule“ (Tyack & Tobin 1994), verstanden als grundlegende Prozess- und Strukturmerkmale dieser, den Anforderungen einer Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts allenfalls hinterherläuft. Gesellschaftliche Transformationsprozesse und ihre veränderten Anforderungen an Schule (vgl. OECD 2019) betreffen auch räumliche Neuordnungen, wie die Ausdifferenzierung virtueller Räume, die Zunahme von Nicht-Orten (vgl. Augé 1994) oder die Verinselung urbaner Lebensbereiche deutlich machen. Diese Neuordnungen stehen in einem Spannungsverhältnis zu den räumlichen Deutungs- und Nutzungsgewohnheiten praktizierender Lehrkräfte – was den mit einer Neuprogrammierung schulischer Grammatik in Zusammenhang stehenden bildungsräumlichen Paradigmenwechsel erschwert.
Die nach wie vor größtenteils am industriellen Zeitalter orientierte Grammatik wird laut Anne Sliwka und Britta Klopsch (2020) durch die Einschränkungen der Pandemie auf den Kopf gestellt. Davon erhoffen sich die beiden Bildungswissenschaftlerinnen eine „disruptive Innovation“ und beschreiben wesentliche Dimensionen einer Neuprogrammierung schulischer Grammatik – im Folgenden skizziert und erweitert um Verweise auf einen bildungsräumlichen Paradigmenwechsel:
Von „Flurschule-Einzelkämpfer*innen“ zur ko-konstruktiven Zuständigkeit
Trotz positiver Effekte ko-konstruktiver Team-Arbeit von Lehrkräften auf die Lernentwicklung von Schüler*innen (vgl. Hargreaves & O´Connor 2018) kennzeichnet diese Form der professionellen Zusammenarbeit im Sinne des konstruktiven Aufeinander-Beziehens und Voneinander-Lernens von Lehrer*innen schulische Grammatik bislang nicht wesentlich (vgl. Richter & Pant 2016). Eingedenk personaler Anforderungen zeitgemäßer Schulkonzepte mit ihren Forderungen nach Inklusion, Individualisierung und Öffnung der Einrichtung in das außerschulische Umfeld gilt es, die Kooperationin dezidiert multiprofessionellen Teams undmit außerschulischen Akteur*innen zu ergänzen (vgl. Lütje-Klose & Willenbring 1999).
Die Frage danach, wie für Teamarbeit auch an verhältnismäßig großen Schulen Raum geschaffen werden kann, der über das klassische „Ein-Tisch-für-alle-Gelegenheiten“-Lehrer*innenzimmer hinausgeht, wird etwa im Münchener Lernhaus-Konzept durch eine Cluster-Lösung und die entsprechende Zuordnung in „Sub-Teams“ inklusive eigener Teamräume gelöst. Ich möchte den Zusammenhang zwischen Lernraum und Kooperation weiterdenken: Führt man den materiellen Schulbau weg von der an militärischer Architektur orientierten Flurschule mit ihren abgegrenzten Zuständigkeitsfeldern hin zur Lernlandschaft einer „school without walls“ wie am Ørestad Gymnasium[2], stellt sich die Frage nach dem aufeinander Abstimmen professioneller Handlungen und dem voneinander Lernen auf ganz andere Weise. Dies gilt verstärkt hinsichtlich einer außerschulischen Erweiterung des schulischen Lernraums.[3]
Vom zentralisierten Klassenzimmer zur adaptiven Lernumgebung
Weiter empfehlen Sliwka und Klopsch Erweiterung oder Ersatz der verbreiteten, überwiegend summativen Rückmeldungskulturum bzw. durch formatives Feedback. Das heißt die Rückmeldung zur schulischen Leistung sollte nicht mehr nur punktuell und ausschließlich (oder gar nicht) über Ziffernnoten erfolgen, sondern den jeweils individuellen Lernprozess und die Fortschritte in einer prozessorientierten Form spiegeln und über verbale Formen zugänglicher artikulieren. Dies zielt nur auf einen, wenn auch wesentlichen Aspekt der Rahmenbedingungen schulischer Lernprozesse. Zusätzlich gilt es weitere Rahmenbedingungen zu bedenken, um den Anforderungen zeitgemäßen schulischen Lernen zu entsprechen und eine Passung dieser Faktoren an die subjektive Lernausgangslage der Schüler*innen zu ermöglichen. Eine solche „Anpassung des Lehrangebots an die individuellen Voraussetzungen der Lernenden“ (Bohl et al. 2012: 48) entspricht dem aus der pädagogischen Psychologie stammenden Konzept des adaptiven Unterrichts. Der Implementierung adaptiver Lernumgebungen scheinen insbesondere tradierte Vorstellungen vom schulischen Lernraum und damit einhergehende Platzierungen und Rollenzuweisungen im Weg zu stehen. Die bislang weitgehend wirkmächtige Raumvorstellung orientiert sich nicht an einer individualisierter Lernumgebung, sondern ist insbesondere an einen Frontalunterricht gekoppelt, der nach wie vor eine dominante Verbreitung an deutschen Schulen erfährt (vgl. Inckemann 2014: 377-379). In der wirkmächtigen Vorstellung einer zentral platzierten Lehrkraft, die als allwissende Instrukteurin einer Gruppe gleichmäßig aufgereihter, zum „Zentrum Lehrkraft“ ausgerichteter Schüler*innen mittels „Nürnberger Trichter“[4] gleichzeitig Wissen einflößt, wirkt die Vorstellung, dass Schüler*innen an unterschiedlichen Arbeitsplätzen an verschiedenen Gegenstandsbereichen mit diversem Material arbeiten, geradezu abstrus.
Im Zusammenhang mit adaptiven Lernlandschaften werden hingegen Modelle entwickelt, die eine ebensolche Umgebung schaffen sollen. Als ein Beispiel dafür kann das im Rahmen der Schweizer Schulentwicklungsprozessen entworfene, raumpädagogische Churermodell gelten, das gerade über eine Dezentralisierung der Raumaufteilung zu einer binnendifferenzierten Unterrichtsorganisation einlädt: „Das Schulzimmer wird zur Lernlandschaft mit unterschiedlichen Arbeitsplätzen. Die Wandtafel ist nicht mehr der dominante Ort im Schulzimmer. Der Kreis spielt eine zentrale Rolle. Die Schülerinnen und Schüler können den Arbeitsplatz selber wählen“ (Churermodell 2017).
Vom Container- zum transformativen Bildungsraum
Aufgrund des Einflusses Erziehungsberechtigter auf die Lernentwicklung (vgl. Otterpohl & Wild 2017) plädieren Sliwka und Klopsch für eine Optimierung der Interaktion im Sinne eines „partnerschaftliche[s] Modell[s] in der Triade Eltern – Lernende*r – Lehrkraft/ Schule“ (Sliwka & Klopsch 2020: 220). Damit hängt das letztgenannte Problemfeld zusammen: Bislang gelingt es deutschen Schulen nur unzureichend digitale, außerschulische Lernwelten einzubeziehen beziehungsweise dauerhafte Kooperationen zu außerschulischen Partner*innen aufzubauen, systematisch in die Organisation schulischen Lernens einzubeziehen und ein Netzwerk regionaler Bildungsakteur*innen zu implementieren. Sliwka und Klopsch fordern im Anschluss an Zitter und Hoeve (2012) eine Weiterentwicklung zur „hybriden Lernumgebung“ und rekurrieren darüber auch auf ein derzeit noch wirkmächtiges schulisches Raumverständnis.
Entsprechend gilt es ortsgebundene Begrenzungen schulischen Lernraums zu ent-grenzen – ohne die Bedeutung des physischen Raums als leiblich-sinnliche Dimension zu vernachlässigen. Im israelischen Konzept einer „Education City” wird das „Klassenzimmer 2.0“ zum Ausgangspunkt und Motor regionaler Bildungsraumentwicklung: „The entire city turns into one big school“ (Hecht 2017). Dabei werden regionale Netzwerke geknüpft, um für Akteur*innen eines Stadtteils oder einer Region Lernumgebungen zu schaffen und sie zu gesellschaftlicher Partizipation einzuladen. Die Bildungswissenschaftlerin Christina Hansen (2018) greift diese Idee sowie den Ansatz des Service Learnings (vgl. Sliwka & Frank 2004) auf, um in ihrem bildungswissenschaftlichen Konzept des transformativen Bildungsraums aufzuzeigen, wie es gelingen kann, über diese Neuordnung schulischen Raums in einem „zirkulären Transformationsprozess von relevanten Themen zwischen Region und Schule“ den Bildungsraum Schule zum „Kristallisationspunkt für den regionalen Bildungsraum“ (Hansen & Plank 2018: 50f.) zu entwickeln. Auf diesem Weg lässt sich konzeptuell eine Entgrenzung respektive Erweiterung schulischen Lernraums über die Grenzen des Schulgeländes hinweg voranbringen.
Es steht außer Frage, dass sich Bildungsverständnis und Menschenbild sowie Zieldimensionen schulischen Lernens seit dem industriellen Zeitalter weiterentwickelt haben. Die exemplarisch skizzierten Problemfelder zeigen allerdings auf, dass eine Übersetzung in wesentliche Struktur- und Prozessmerkmale der Schule nicht hinreichend gelungen ist – das betrifft auch Schularchitekturen und ein entsprechendes Raumverständnis, die nicht adäquat mitgewachsen zu sein scheinen. Vor dem Hintergrund einer Re-Figuration des Bildungsraums stehen die mit einem zeitgemäßen Bildungsverständnis einhergehenden räumlichen Neuordnungen in einem konfliktreichen Spannungsverhältnis zu den berufsbezogenen und berufsbedingten Vorstellungen von schulischem Lernraum, die derzeit praktizierende Lehrkräfte verinnerlicht haben. Den Containerraum Schule (vgl. Sesink 2014: 38) beziehe ich insbesondere auf dieses im professionellen Handeln wirkmächtige Raumverständnis, das Schule als neutralen Behälter begreift, der gleichermaßen mit Schüler*innen und Lehrkräften wie mit Whiteboards & Co. befüllt wird: Menschen werden nach diesem Verständnis wie Gegenstände in Räume hineingesetzt, die für sich selbst existieren. In diesem unbeweglichen Raum finden Handlungen statt, diese beziehen sich jedoch auf die physikalisch bemessene Gegebenheit – der Mensch lebt im Raum, ist diesem ausgeliefert. In dieser absolutistischen Auffassung besteht ein Dualismus von Körper und Raum, während in einem relativistischen Verständnis der Raum „nicht länger der starre Behälter ist, der unabhängig von den materiellen Verhältnissen existiert, sondern Raum und Körperwelt (…) verwoben“ sind (Löw 2001: 34). Henri Lefebvre (1974) beschreibt den Raum bereits Anfang der 1970er als „hergestellt durch spezifische soziale Prozesse“: Raum als Ergebnis eines Prozesses der (An)Ordnung.
Es gilt die tradierten Vorstellungen vom Containerraum auch in Bildungskontexten in Frage zu stellen. Otto Friedrich Bollnow entwickelte 1963 ein konstruktivistisches Modell vom erlebten Lernraum, der sich durch die ihn bildenden Objekte und Handlungen verändert. Menschen begreift der Pädagoge als Teil des Raums, den sie jeweils ganz individuell erleben. Raum wird zu einem Teil von Lern- und Handlungsprozessen. Und genau an dieser Stelle knirscht es angesichts aktuell greifbarer schulischer Raumverständnisse, da Raum nicht nur weitgehend deterministisch begriffen wird, sondern generell keine wesentliche Kategorie des pädagogischen Handelns darstellt. Laut Sesink spielt der Raum abgesehen einer vorgeblich ausschließlich metaphorischen Verwendung keine Rolle, wenn es „um die theoretischen Grundlagen dieser Disziplin geht“ (Sesink 2014: 29). Der Einfluss der gebauten Umgebung auf pädagogische Prozesse wird derzeit wieder verstärkt thematisiert, allerdings werden „Pädagogik und Raum (…) in einer ähnlichen Weise zusammengebracht wie etwa Pädagogik und Informationstechnik bei der Gestaltung virtueller Lernräume (…): Zwei voneinander normalerweise getrennte Theorie- und Praxisbereiche (…) kooperieren in einem umgrenzen Aufgabenfeld“ (ebd.: 30f.). Sesink beschränkt sich nicht auf den physikalischen, sondern beschreibt einen „intelligiblen Raum“, um so „die Räumlichkeit der Pädagogik selbst, die Metaphorik der Rede vom Raum als Verweis auf einen Wesenskern dieser Praxis herauszuarbeiten“ (ebd.: 30).
Schlüsselrolle Lehrkraft: Zur Bedeutung berufsbezogener Reflexion
Der an exemplarischen Problemfeldern veranschaulichte bildungsräumliche Paradigmenwechsel setzt vor dem Hintergrund einer Re-Figuration des Bildungsraums an dem von Sesink skizzierten „alternativen Zugang zur Betrachtung auch des empirischen Raums“ (ebd. 2014: 30) an und betrifft daher auch nicht zuallererst Überlegungen zur physischen Entsprechung „Schulhaus“. Raumhandeln von Lehrkräften findet im Spannungsfeld zwischen der objektiven, unter anderem über die Anordnung der Einrichtung bereits transportierten Funktionalität des Lernraums und den subjektiven Bedeutungsmustern statt. Pädagogisches Handeln und berufsbezogene Überzeugungen knüpfen an persönlichen Erfahrungen mit Schule an. Diese stellt einen institutionalisierten, mit kollektiven wie individuellen Bedürfnissen verbundenen Erfahrungsraum dar, der von den dort professionell Agierenden als Teil der eigenen Bildungsbiografie erlebt wurde, da in der Regel nahezu alle an einer Schule tätigen (pädagogischen) Fachkräfte selbst eine Schule besucht haben. Hansen (2012, 2017) arbeitet die Verwobenheit professionsspezifischer und biografischer Denk- und Handlungsdispositionen in einem Strukturmodell profigrafischer Prozesse heraus. Im Rahmen des Profigrafie-Modell werden domänenspezifisches Wissen und pädagogische Handlungskompetenz sowie wesentliche Prozess- und Strukturvariablen pädagogischer Professionalisierung in Beziehung gesetzt. Professionelles pädagogisches Handeln bezieht sich demnach auf Wissensbestände, die aus fachunabhängigen wie -gebundenen Ereignisschemata bestehen, die wiederum in spezifische systematische Kontexte eingebettet sind. Sich dieser Kontextualität gewahr zu werden ist laut Hansen eine zentrale Voraussetzung, um sie bewusst nutzen zu können.
Auch subjektive Raumkonzepte sind mit profigrafischer Entwicklung verwoben und wirken sich auf individuelle Raumkonstruktionen in sozialen Interaktionssituationen aus. Auf Basis der Überlegungen des Profigrafie-Modells gilt es in diesem Zusammenhang Lehrkräfte zu befähigen, ihr berufsbezogenes Raumverständnisses zu reflektieren. Reflexionsvermögen meint dabei konkret, „…daß Menschen in der Lage sind, zu verstehen und zu erklären, wie sie Räume schaffen“ (Löw 2001: 62). Lehrer*innen zu ermöglichen, zu reflektieren, wie die von ihnen geschaffenen Bildungsräume konstituiert sind und wie sie funktionieren, kann einen wesentlichen Aspekt eines bildungsräumlichen Paradigmenwechsels darstellen. In ihrer qualitativen Interviewstudie beschäftigt sich Dominique Matthes damit „Räumlichkeit und deren Bedeutung für Lehrpersonen in ihrem Berufsalltag zu dimensionieren“ (Matthes 2016). Die noch zu erwartenden Ergebnisse können für die Entwicklung einer entsprechenden Konzeption profigrafischer Reflexion eine sinngemäße Ausgangsbasis darstellen.
Und so schließe ich mit einer hoffnungsvollen Flaschenpost gen „Post-Corona“: Die Konsequenzen der COVID-19-Pandemie haben Einschränkungen des schulischen Lernraums erschüttert und damit eine einzigartige Chance kreiert: Scheinbar urwüchsige Struktur- und Prozessmerkmale der Einrichtung konnten in Frage gestellt werden und haben vor dem Hintergrund räumlicher Neuordnungen und deren Spannungsverhältnis zu derzeit wirkmächtigen Raumkonzepten von Lehrkäften die Notwendigkeit eines bildungsräumlichen Paradigmenwechsels ersichtlich werden lassen. Um einen solchen letztlich auch anzustoßen, erachte ich es als entscheidend, Lehrkräfte dazu zu befähigen, ihre verinnerlichten Raumkonzepte zu reflektieren, um Deutungs- und Nutzungsgewohnheiten entsprechend dem dringend erforderlichen „Update“ weiterentwickeln zu können.
Autorinneninfo
Dr. Kathrin Eveline Plank ist Bildungswissenschaftlerin und derzeit im Rahmen der akademischen Lehrer*innen-Bildung der Universität Passau tätig. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte liegen auf demokratischer Bildung, Bildungsraumforschung und inklusiver Schulentwicklung. Weitere Infos: Universität Passau
Literatur:
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Bohl, T./ Batzel, A./ Richey, P. (2012): Öffnung – Differenzierung – Individualisierung – Adaptivität, in: Bohl, T./ Bönsch, M./ Trautmann, M./ Wischer, B. (Hrsg.): Binnendifferenzierung. Teil 1: Didaktische Grundlagen und Forschungsergebnisse zur Binnendifferenzierung im Unterricht. Immenhausen: Prolog-Verlag, S. 40-68.
Bollnow, O. F. (1963): Mensch und Raum. Stuttgart: Kohlhammer.
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Gudjons, H. (2008): Handlungsorientiert lehren und lernen: Schüleraktivierung. Selbsttätigkeit. Projektarbeit. 7. Akt. Aufl. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Hansen, C./ Plank, K. E. (2018): Lernraum neu denken? Lernraum neu denken. Konzeption und Entwicklung einer Schule zum “transformativen Bildungsraum”. In: Journal für Schulentwicklung. Innsbruck: Studienverlag.
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INSM-Bildungsmonitor (2020): Schwerpunktthema ‘Schulische Bildung in Zeiten der Corona-Krise’. Gutachten für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Köln.
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Sliwka, A./ Frank, S. (2004): Service-Learning: Verantwortung Lernen in der Schule. Ein Arbeitsbuch. Weinheim: Beltz.
Tyack, D./ Tobin, W. (1994): The ‘Grammar’ of Schooling: Why Has It Been so Hard to Change?”, in: American Educational Research Journal 31.3, 453–479.
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Zitter, I./ Hoeve, A. (2012): Hybrid Learning Environments: Merging Learning and Work Processes to Facilitate Knowledge Integration and Transitions. OECD Education Working Papers, No. 81. Paris: OECD.
Abbildungen
Titelabb. Mobiles Stadtlabor – desgin.build TU Wien 2013, Sebastian Schuster, http://www.architekturbild.at/uploads/1/0/8/7/10871690/9959628_orig.jpg
Abb. 1: Screenshot Patrick Bronner, GEW, abrufbar unter: https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/die-einschwingphase-ist-durch/
Abb. 2: Ørestad Gymnasium Kopenhagen, 3XN Architects, Bauwelt, abrufbar unter: https://www.bauwelt.de/themen/bauten/Orestad-Gymnasium-Kopenhagen-3XN-Learning-from-Europe-Bauwelt-2155194.html
Abb. 3: Nürnberger Trichter Postkarte, Lith. u. Druck v. E. Nister, Nürnberg, abrufbar unter: http://saarland.digicult-museen.net/objekte/4530
[1] Ich lehne mich dabei an die Denkfigur der „Re-Figuration des Raums“ nach Martina Löw und Hubert Knoblauch (2019) an, die diese als Resultat der spannungsreichen Dynamik zwischen Moderne und Post-/ Spätmoderne im Bereich räumlicher Logiken beschreiben.
[2] Hintergründe zu den raumpädagogischen Besonderheiten der dänischen Schule: https://www.bauwelt.de/themen/bauten/Orestad-Gymnasium-Kopenhagen-3XN-Learning-from-Europe-Bauwelt-2155194.html; letzter Zugriff: 25.12.20
[3] Interessant hierzu ist Christian Kühns Beitrag zur Schule als „Raum für Teams“: https://publik.tuwien.ac.at/files/PubDat_205730.pdf; letzter Zugriff 29.12.20
[4] Mit dem „Nürnberger Trichter“ wird ein didaktisches Modell beschrieben, das konstruktive Lernprozesse ausblendet und ausschließlich auf Instruktion setzt. Dabei wird vorausgesetzt, dass der Input von den Lernenden jeweils auf die gleiche Art und Weise aufgenommen wird und so bei allen ein exaktes Abbild des von der Lehrkraft vermittelten Inhalts entsteht (vgl. Gudjons 2008: 35).