Wer sind diese Leute, die das Internet kontrollieren?
SFB Soziologe René Tuma im Gespräch mit Brenda Strohmaier
Der Zugang zum Internet gilt längst als so elementar wie die Wasser- und Stromversorgung; die UN hat die Online-Kommunikation schon vor Jahren zum Menschenrecht erklärt. Doch trotz der enormen sozialen Bedeutung ist nicht allzu viel bekannt über die Verwaltungsinfrastruktur dahinter, also wer genau nach welchen Vorstellungen die Infrastruktur des Netzes kontrolliert. Das Teilprojekt B02 „Control/Space“ will das ändern, wie Projektmitarbeiter René Tuma erklärt.
Brenda Strohmaier: Du warst gerade in Belgrad für euer Projekt. Warum kann man ausgerechnet dort etwas über das globale Internet lernen?
René Tuma: Wir waren bei einer Konferenz des RIPE-Netzwerks, das ist eine der Internet-Organisationen, die IP-Adressen verteilen. Wir wollen ja herausfinden, wer diese Leute sind, die Datenleitungen miteinander verschalten und entscheiden, was dort fließt. Wir interessieren uns deshalb besonders für die Betreiber von Internetknotenpunkten, so genannten Internet Exchange Points, kurz IXPs. Manchmal besteht so ein Knoten aus einem einzigen Schrank in einem Datenzentrum, andere, wie das De-Cix in Frankfurt, verteilen sich auf Dutzende Rechenzentren. Jeder dieser IXPs wird von jemandem kontrolliert, und die Betreiber müssen untereinander aushandeln, wo sie nach welchen Regeln die Datenpakete langschicken. Um solche Fragen ging es auch in Belgrad.
BS: Ihr als Soziologen sitzt dort inmitten von Tekkies. Versteht ihr überhaupt etwas?
RT: Inzwischen schon. Wir mussten uns aber erst reinfuchsen in die verschiedenen Protokolle, Verschlüsselungen, technischen Lösungen und die ganzen Abkürzungen. Aber wenn wir etwas nicht verstehen, dann fragen wir nach, das ist ja die Idee. Damit setzen wir auch auf dem Vorgängerprojekt auf, mit dem wir Kontrollräume untersuchten, unter anderem von Verkehrsleitzentralen, Polizei und der Feuerwehr.
BS: Aber was genau ist interessant an diesen Verhandlungen über technische Details?
RT: Das sind letztlich Machtkämpfe, die ganz konkrete Auswirkungen haben auf die Infrastruktur und den Zugang zu Informationen. Du hast bestimmt schon von der Chinese Firewall gehört, mit der China Seiten wie Facebook oder Google blockiert. Russland versucht auch gerade so etwas zu bauen, RUnet nennt sich deren geplantes Netz. In Belgrad ging es schon mal speziell um die Frage, ob Russland bei seinem Überfall auf die Ukraine auch ukrainische IP-Adressen raubt. Wir interessieren uns dabei nicht nur für die Diskussionen selbst, sondern auch für die Leitmotive dahinter. Da sehen wir definitiv, dass die Idee eines einheitlichen, allseits zugänglichen Internets gerade von anderen Vorstellungen Konkurrenz bekommt.
BS: Wie der vom Splinternet….
RT: …Oder der Balkanisierung des Cyberspace. Passenderweise wurde darüber auch im serbischen Belgrad viel gesprochen. Es sind nicht nur staatliche Akteure, die eine Segmentierung des Netzes vorantreiben. Auch Unternehmen wie Facebook und Google versuchen, eigene Imperien zu bauen. Jedenfalls haben die Vorstellungen sich enorm gewandelt seit Anfang der 1990er-Jahre, als die US-amerikanische Regierung unter Bill Clinton für den Ausbau des Internets zum „Information Highway“ warb. Bis dahin wurde das Netz von kleinen Communities und vom Militär betrieben. Plötzlich sollte jeder drauf rumfahren können.
BS: Ich würde gerne eine Studie zu den Vorstellungen lesen, die Chinesen vom Internet haben. Die unterscheiden sich bestimmt deutlich von unseren, allein schon wegen der Macht der App WeChat, mit der man sich sogar ausweist und zahlt.
RT: Das wäre spannend, gerade weil die Diskurse übers Netz derzeit noch sehr westlich dominiert sind. In China zu forschen, ist aber wegen der politischen Lage schwer, wir schauen uns dafür genauer an, wie die Vorstellungen vom Internet in Indien aussehen. Dabei sind wir aber noch am Anfang, auch mit unserer Idee, das ganze aus einer feministischen Perspektive zu betrachten. Wir wissen aber, dass es innerhalb der männlich geprägten Netz Community Forderungen nach mehr Diversität und einer weiblichen Perspektive gibt.
BS: Welche Erkenntnisse erhofft ihr euch von einem speziell raumtheoretischen Blick aufs Netz?
RT: In der aktuellen Debatte geht es meist um den Zusammenhang von Territorien und Netzwerk. Wir hier am SFB haben noch mehr Modelle, um sowohl die physische Wirklichkeit als auch kulturelle Räume zu beschreiben. So interessieren wir uns zum Beispiel auch für Bahnen im Netz, das heißt den Daten-Transport von A nach B auf einer bestimmten Route, sei es innerhalb eines Netzwerks oder zwischen zwei Entitäten. Die neue Seidenstraße ist ein schönes Beispiel dafür. Parallel zu neuen Zuglinien in den zentralasiatischen Staaten um Russland herum, werden auch Datenleitungen gelegt sowie Datenzentren gebaut, all das finanziert von China, das sich selbst so stark abgrenzt. Da sehen wir, dass wir mit unserem etwas komplexerem Raummodell durchaus neue und spannende Aspekte entdecken können.
BS: Ihr wollt das Internet auch visuell darstellen. Wie sieht es denn aus?
RT: Diejenigen, die am Netz arbeiten, machen es sich zumindest alle bildlich zugänglich, wenn auch ganz unterschiedlich. Wir haben inzwischen zig verschiedene Karten gesammelt. Etliche zeigen Unterseekabel, einige dagegen, wie frei die Länder untereinander Daten austauschen beziehungsweise welche Territorien sich abschotten. Auf anderen ist zu sehen, wo viel Traffic an bestimmten Orten herrscht. Wir glauben, dass wir über solche Visualisierungen kulturelle Vorstellungen aufdecken können. Letztlich wollen wir selbst eine genauere Idee bekommen von dieser so bedeutsamen, aber schwer fassbaren technisch-räumlichen Infrastruktur.
Dr. René Tuma ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 1265.
Dr. Brenda Strohmaier ist Journalistin, promovierte Stadtsoziologin und freie Kuratorin an der Berliner Bildungsinstitution Urania.