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„Karten und Pläne sind immer ein Machtinstrument“

31. Juli 2023

„Ich denke viel über Mapping nach – also das Kartieren von Räumen als Forschungswerkzeug.

Dabei ist ,Mapping‘ ein sehr schwammiger Begriff. In der Architektur und Stadtplanung ist es zwar total üblich, Räume zu kartieren; aber das wird eben einfach gemacht und wenig als Forschungswerkzeug reflektiert, in der Literatur findet sich wenig dazu. Diese Lücke wollen wir füllen – und konzeptionell herausarbeiten, was es eigentlich bedeutet, wenn man Wissen per Mapping produziert. Was passiert, wenn Raumgestalter:innen mit diesem Werkzeug arbeiten, und wie lassen sich ihre Ergebnisse in soziologische Forschungsprojekte wie dem SFB integrieren? Kurz gesagt: Was würde es bedeuten, Mapping als Methode zu etablieren?

Dazu muss ich kurz erklären, dass wir den Begriff auch deshalb absichtlich vage halten, um darunter verschiedene Vorgehensweisen zu versammeln. Mapping lässt sich einerseits als ein reines Erhebungsmittel im Feld nutzen: Zum Beispiel, indem ich die Skizze einer Situation anfertige, Menschen darum bitte, ihre Vorstellungen von bestimmten Räumen aufzumalen – also eine ,Mental Map‘ anzufertigen – oder jemandem ein GPS-Gerät in die Hand drücke und so seine alltäglichen Wege tracke. Anschließend werden die erhobenen Daten transkribiert oder verschriftlicht und fließen dann wie jedes andere Material in die weitere Analyse ein.

Andererseits lässt sich Mapping aber auch in der Analyse selbst als Synthesewerkzeug nutzen – und genau das versuchen wir in unserer Arbeitsgruppe „Hybrid Mapping Methods“. Die Idee dahinter ist, sehr heterogene Daten zusammenzubringen und zu schauen, was sich ergibt, wenn man sie dicht nebeneinander legt oder quasi in Ebenen übereinander lagert.

Diese Analyse lebt von ständigen Wiederholungen und Überschreibungen. Viele Mappings werden nicht fertig – das sieht man gut an den Kartierungen, die in unserem Methoden-Lab hängen –, sondern zeigen nur einen vorläufigen Stand, sozusagen ein visualisiertes ,Work in Progress‘. Man darf sich außerdem davon nicht täuschen lassen: Auch wenn diese Mappings ästhetisch attraktiv wirken, stellen sie keine realen Räume dar. Karten und Pläne sind immer ein Machtinstrument; sie geben den Anschein, dass sie die Welt vermessen, wie sie ist – aber natürlich tun sie das nicht. Ebenso wenig kann ein Mapping alles erklären, was uns in den Räumen auffällt, die wir erforschen; auch das wäre ein Trugschluss. Sie sind ein reines Werkzeug: ein komplexes Schichtgebilde, in das wir reinzoomen können und aus dem wir Ausschnitte wählen – manchmal nur ganz kleine –, um daraus unsere Texte zu schreiben.

Zugleich bearbeiten wir aber auch Fragestellungen rund um die Methode an sich. Konkret beschäftigen uns momentan drei Themen. Das Erste ist die Komposition: Wir arbeiten mit multiplen Mappings, die verschiedene Dinge erfassen – bei unserer Forschung zum Botanischen Garten in Berlin etwa die Glashäuser, die Herkunft der Pflanzen und die sozialen Netzwerke vor Ort. Die Frage ist, wie sich daraus nun Erkenntnisse gewinnen lassen. Beim Mapping arbeiten wir in Schleifen: Phasen, in denen wir alles zueinander bringen, wechseln sich ab mit Phasen, in denen wir Daten reduzieren oder ganz rausstreichen, weil sie für die weitere Analyse nur noch von untergeordneter Wichtigkeit sind. Mapping ist also immer ein ständiges Spiel zwischen Synthese und Fragmentierung, konstruieren und dekonstruieren. Noch ist uns aber nicht ganz klar, wie diese Komposition systematisch vonstatten gehen kann.

Das zweite Thema ist die Frage, wie wir in unseren Mappings den Faktor ,Zeit‘ unterbringen – und zwar ebenfalls in multiplen Dimensionen. Im Falle des Botanischen Gartens wären das zum Beispiel so verschiedene Zeitverständnisse wie geologische Epochen, das Anthropozän oder der Lauf der Jahreszeiten. Und drittens stellt sich uns die Frage der Nachvollziehbarkeit: Wie schaffen wir es, für unser Mapping eine Verfahrensweise zu etablieren, die es anderen Forscher:innen ermöglicht nachzuvollziehen, wie wir letztlich auf unsere Erkenntnisse oder Thesen gekommen sind? Wie protokollieren wir am besten all unsere Bearbeitungsschleifen, und wie dokumentieren wir, welche Daten aus welchen Gründen von uns entfernt wurden?

Solche validen Regeln zu erstellen, wäre auch deshalb wichtig, um den großen Vorbehalten gegen die Methode etwas entgegenzusetzen. Mapping gilt in Disziplinen wie der Soziologie bislang noch als Verfahren, das zwar sehr trendig und optisch ansprechend, aber dabei auch ziemlich undurchsichtig ist; anders als textbasierte Methoden. Ich halte das für ein Fehlurteil; schon deshalb, weil Wissenschaftler:innen inzwischen so viel mehr visuelles Datenmaterial erheben als noch vor 20 oder 30 Jahren. Mapping bietet eine Möglichkeit, damit umzugehen. Außerdem ist die Transformation von Räumen, die wir am SFB untersuchen, so unglaublich komplex und läuft auf so vielen verschiedenen Skalen ab, dass es ein Werkzeug braucht, um all diese Dimensionen zusammenzuhalten. Und nicht zuletzt ist so ein Mapping etwas, über das Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen sich gemeinsam beugen können, so wie hier im Methoden-Lab – und worüber man gerade mit Planer:innen und Gestalter:innen viel besser diskutieren kann, als wenn man ihnen einen Aufsatz hinlegt. Das macht das Mapping letztlich auch zu einem wertvollen Kommunikationstool für die interdisziplinäre Forschung.“

Dr. Séverine Marguin ist Leiterin des Methoden-Labs sowie des Teilprojekts „Streaming-Serien: Raumgeschichten und Produktionsregime bei Afronovelas“.

Céline Lauer ist Stadtanthropologin und Wissenschaftsredakteurin bei WELT/WELT am Sonntag. Im Juni 2023 war sie als Journalist in Residence zu Gast am SFB 1265.

Zum Weiterlesen:

Marguin, Séverine (2021): Interdisziplinarität als polykontexturale Wissensproduktion – Über die Kollaboration zwischen SoziologInnen, ArchitektInnen und PlanerInnen. In: Löw, Martina et al. (Hrsg.): Am Ende der Globalisierung. Über die Re-Figuration von Räumen. Transcript Verlag Bielefeld, Reihe Re-Figuration von Räumen, S. 417-444. (open access)

Marguin, Séverine (2022): Karten und Mappings. In: Blasius, J./Baur, N. (Hrsg.): Methoden der empirischen Sozialforschung. Springer Verlag Wiesbaden, S. 1669-1692.